KI-basierte Medizinische Dokumentation in der Kinderarztpraxis „Kinderleicht“
Mehr Zeit und mehr Fokus für kleine Patient:innen. Dank KI-Automatisierung der Behandlungsdokumentation.
Kapitel
Ausgangspunkt: Eine Praxis mit großem Herzen und begrenzter Zeit
Dr. Nicole Toussaint-Götz und Dr. Sebastian Bartels führen gemeinsam die Kinderarztpraxis Kinderleicht, eine etablierte, vielbesuchte Praxis, die täglich über 100 Kinder behandelt und versorgt. Die Patientengruppe ist anspruchsvoll: Berufstätige Eltern, ungeduldige Kinder, volle Wartezimmer.
Damit alles rundläuft, braucht es reibungslose Abläufe, schnelle Entscheidungen und vor allem eins: volle Aufmerksamkeit für jedes einzelne Kind.
Doch genau diese Aufmerksamkeit leidet, wenn Zeit in Dokumentation, Formulararbeit oder Technikprobleme fließt.
„Wir wollen für unsere kleinen Patienten voll da sein. Aber manchmal sitzt man länger am Computer als mit dem Kind. Da muss man doch was machen können, gerade jetzt, wo doch angeblich KI-Revolution ist.“
Mit dieser Frage – “Wie kann KI helfen, den Praxisalltag stress- und reibungsfreier zu gestalten, ohne an Qualität in der Betreuung und Behandlung einzubüßen?” – wandte sich Dr. Bartels an PressKI.
Der erste Schritt: Schmerzpunkte sichtbar machen
Im Evaluierungsworkshop ging es erstmal gar nicht um KI und Technologie, sondern einzig und allein um den realen Praxisalltag: Wie genau sieht der aus? Wo gehen (unnötig) Zeit, Energie und Nerven verloren?
Im konzentrierten, rund einstündigen Austausch zwischen dem PressKI-Team und Dr. Bartels entstand eine KI-Potenzialkarte entlang von drei zentralen Kategorien:
- Zeitfresser – z.B. das manuelle Eintippen der Anamnese in die Patientensoftware oder telefonische Terminannahmen
- Nervenfresser – z.B. nicht funktionierende Kartenlesegeräte oder Eltern mit vorgefertigten ChatGPT-Diagnosen
- Geldfresser – z.B. falsche Abrechnungen
Anschließend wurden alle Potenziale entlang von zwei Dimensionen bewertet:
- Mehrwert: Welche Zeit-, Geld- und/oder Nervenersparnis würden sie bringen?
- Aufwand: Mit welchen Aufwand wäre die Umsetzung verbunden?
Ein Favorit in Sachen Wirkung und Umsetzbarkeit war schnell gefunden: Ein KI-gestützter Anamnese-Assistent sollte den Dokumentationsprozess in Akutsprechstunden intelligent automatisieren.
Von der ersten Idee zur Umsetzung: Ein klarer Plan mit Fokus auf unmittelbare Praxistauglichkeit
Auf die Entscheidung für einen Anamnese-Dokumentationsassistenten folgte die Konzeptionsphase. Ziel: eine Lösung definieren, die sich nahtlos in den Praxisworkflow und die bestehende Softwareumgebung integriert, ohne die Routine zu stören.
Gemeinsam wurden folgende Eckpfeiler definiert:
- Fokus auf Akutsprechstunden: Start mit den häufigsten Fällen, in denen der Zeitdruck am größten ist.
- Flexible Sprachverarbeitung: Die KI muss natürliche Gesprächsverläufe verstehen können, die keiner definierten Struktur folgen.
- Performance als Erfolgsfaktor: Übertragung und Verarbeitung dürfen den Ablauf nicht verzögern.
In einem Zielbild wurde der neue Dokumentationsprozess skizziert und die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine definiert. Dabei wurde recht schnell klar, warum ausschließlich auf die Anamnese konzentrieren. Warum nicht das Zielbild so ausweiten, dass mit Hilfe von KI-Automatisierung die komplette medizinische Dokumentation von Anamnese über Befund bis zum Procedere abgebildet würde.
Entlang von diesem Zielprozess wurden die Anforderungen und Optionen weiter ausgearbeitet. Dabei ging es zum Beispiel um Fragen, wie diese:
- Welche technischen Tools für Sprachaufnahmen, Transkription und Datenstrukturierung würden eingesetzt werden können?
- Welche Konfiguration würden erforderlich sein, damit der Assistent 100% anschlussfähig an die bestehende Arbeits- und Dokumentationsweise der Praxis wäre?
Wie sah das Setup in der Praxis aus?
Für die Pilotphase entschied sich das PressKI-Team für folgendes Setup:
- Whisper als Voice-Recording-Software wegen hoher Aufnahmequalität und einfacher Handhabung
- GPT 4.1-basierte Transkription, optimiert für medizinische Sprache
- Strukturierung der Transkripte auf Wortebene und Überführung in standardisierte Dokumentationsabschnitte “Anamnese”, “Befund” und “Procedere”.
- Integration in die Patientensoftware T2med über GDT-Schnittstelle
Das KI-Modell wurde mit rund 20 anonymisierten Anamnese Dokumentationen aus der letzten Praxiswoche und 20 realen Voice Recordings getestet.
Parallel wurden Datenschutzfragen, Löschfristen und Patienteneinwilligungen geklärt, mit klaren Regeln für sichere Speicherung und zeitnahe Löschung der Audiodaten.
Außerdem wurde die notwendige Hardware in zunächst zwei Behandlungszimmern installiert.
Erste Ergebnisse: Beeindruckende Präzision
Schon der erste Prototyp verschaffte einen Eindruck, was möglich ist: Die KI erfasste nicht nur Inhalte, sondern auch Tonfall und Kontext korrekt und schrieb im gewohnten ärztlichen Sprachduktus.
Dr. Bartels war begeistert:
„Die KI setzt Fachtermini korrekt ein, selbst wenn sie im Gespräch gar nicht gefallen sind. Das spart mir enorm viel Zeit und führt dazu, dass unsere Patientenakten wirklich in einem super Zustand sind. Das erleichtert nicht nur die Behandlung heute, sondern auch alle zukünftigen Behandlungen. “
In der ersten Testwoche zeigte sich:
- In 90 % der Fälle konnte der Dokumentationsvorschlag unverändert übernommen werden.
- In nur 10 % der Fälle waren Ergänzungen oder kleine Korrekturen nötig.
- Nur bei starkem Hintergrundlärm oder überlappenden Gesprächen mussten Anpassungen erfolgen – meist marginal.
Ein anschauliches Beispiel:
Bei einem Akuttermin zu einer Mittelohrentzündung erfasste die KI den gesamten Gesprächsverlauf korrekt, konnte aber das betroffene Ohr nicht der rechten oder linken Seite zuordnen. Es stellte sich heraus, dass das aber auch dem PressKi-Team nicht möglich war, als es die Audiodatei nochmal direkt hörte. Es war insofern kein echter Fehler der KI gewesen, sondern schlicht dem Stimmengewirr des Behandlungszimmers geschuldet.
Die Erkenntnis daraus: Ein prüfender Blick des behandelnden Arztes ist und bleibt ein Muss (“Human Check”).
Herausforderungen auf dem Weg
- Latenz als kritischer Faktor
Ein Dokumentationsvorschlag muss sofort da sein, nicht erst nach 15 Minuten. Nur so kann der Anamneseassistent in die Arbeitsabläufe des Arztes sinnvoll integriert werden.
Unsere Lösung: Die Reaktionszeit der KI wurde durch gezielte Optimierungen auf wenige Sekunden reduziert.
- Qualität der Sprachaufnahmen
In Kinderarztpraxen wird selten und nacheinander in Ruhe gesprochen.
Unsere Lösung: Akustische Filter, sehr gute Hardware und klare Raumaufteilung sorgen für bessere Transkripte.
- Hardware matters
In einem Testwochenende installierte das PressKI-Team verschiedene Mikrofone in zwei Behandlungszimmern.
Ergebnis: Gerätequalität beeinflusst das KI-Ergebnis massiv. Investitionen in gute Hardware zahlen sich aus.
- Datenschutzbedenken vorwegnehmen
Viele Menschen stehen Audio-Aufnahmen skeptisch gegenüber, gerade im Gesundheitsbereich. Dank des großen Vertrauens in das Praxispersonal und offener Kommunikation erreichte die Praxis eine Zustimmungsquote von über 90 %. Das Datenschutzthema wurde von Anfang an umfassend und gründliche abgesichert.
Unsere Lösung: Solide Aufklärungsroutinen ab dem ersten Patienten.
- Die Kontrolle durch den Arzt oder die Ärztin bleibt zentral
So gut die Maschine auch ist, auch sie arbeitet nur mit unperfekten Informationen, zum Beispiel uneindeutigen Audioaufnahmen. So kann es zu Fehlern kommen (Beispiel oben vom linken versus rechten Ohr). Der menschliche Check an wichtigen Punkten im Prozess ist und bleibt daher ein wichtiger Qualitätsfaktor.
Das Ergebnis: Mehr Zeit, weniger Stress, höhere Qualität
Der Anamnese-Assistent hat der Praxis Kinderleicht innerhalb weniger Wochen bereits echte Spuren hinterlassen. Dazu gehören
- rund 80 Minuten Zeitersparnis pro Tag
- Kapazität für bis zu 15 zusätzliche Patienten täglich
- die Amortisation der Investition in den Anamneseassistenten in unter 3 Monaten
Das Beispiel des Anamneseassistenten zeigt, welchen Wert KI haben kann, um mehr und bessere menschliche Interaktion zu ermöglichen: Indem sie Menschen von repetitiven, technischen Aufgaben entlastet und neue Freiräume für echte menschliche Interaktion schafft. Die KI ersetzt keine ärztliche Kompetenz, sondern unterstützt Ärztin und Arzt dabei, dank weniger Multitasking einen klareren Fokus auf die Patienteninteraktion zu setzen.